Ex-Galopper Wintertor

Wie aus einem Rennpferd mein bester Freund wurde

1994 erfüllte ich mir meinen Kindheitstraum: Ein eigenes Pferd. Oder besser gesagt: Ich erlöste ein Pferd aus einer Reitschule, in der die Tiere  nicht gerade gut behandelt wurden. Hier herrschte das Motto: Wenn dein Pferd nicht das tut, was du von ihm möchtest, „verarscht“ es dich nur. Also musst du es solange mit Sporen traktieren, mit der Peitsche verprügeln und an den Zügeln ziehen, bis es einsieht, dass du der Stärkere bist.
Pferde, die das nicht „einsehen“ wollen, werden oft weiterverkauft. Und leider landen solche missbrauchten und „unreitbar“ gewordenen Pferde, die nicht das Glück haben, von jemandem gekauft zu werden, der mehr Einfühlungsvermögen und Verstand hat, oft beim Schlachter.

In Wahrheit tut ein Pferd nahezu alles für seinen Menschen, wenn es dazu in der Lage ist. Verlangt man jedoch zu früh zu viel von ihm, oder Dinge, die es aufgrund seines physischen Zustandes nicht oder nicht schmerzfrei tun kann, wird es sich Verweigern – seine Art zu sagen: “ Ich verstehe nicht, was du von mir willst“ oder „Ich kann das nicht“ oder einfach nur „Aua!“

Meine „Rennmaschine

Wintertor 1994

Mein Pferd Wintertor ist ein speziell für Flachrennen gezüchteter Vollblüter. Er musste bereits im Fohlenalter und bis zu seinem 5. Lebensjahr Rennen laufen und hatte, als ich ihn im Alter von nur 6 Jahren kaufte, bereits einiges durchgemacht. Galopper sind sehr fein und sensibel, hochgezüchtete Rennmaschinen, mit starken Herzen, großen Lungen und haben eine schier unendliche Ausdauer.
Er stellte mir das immer wieder unter Beweis, ob ich das nun wollte oder nicht (meist wollte ich es nicht) – die Ausritte waren entsprechend nervenaufreibend.

Da er sein kurzes Leben lang immer nur als „Sportgerät“ benutzt wurde, war er zwar noch immer ein sehr freundliches Tier aber sehr ängstlich und hätte am liebsten den Kontakt zu den Menschen gemieden. Er hatte so wenig Vertrauen, dass bereits eine Pfütze, die man nicht umgehen konnte, ausreichte, um den Weg an dieser Stelle nicht fortsetzen zu können.
Wini war voller Schmerzen, die durch eine schlechte Ausbildung und falsches Reiten hervorgerufen wurden und man hatte kaum eine Chance, ihn unter dem Sattel zum Kopf senken zu bewegen. Dies „gelang“ nur mit viel Kraft und (wieder einmal) Zwang, in Form von Schlaufzügeln und Sporeneinsatz.
Einmal traf ich ihn dann, an den Flanken blutend, in seiner Box an, nachdem ihn meine Reitbeteiligung im Unterricht geritten war. Als Entschuldigung bekam ich zu hören, dass Vollblüter nun mal sehr dünne Haut hätten. Ich untersagte ihr fortan das Benutzen von Sporen, worauf sie ihn wenig später nicht mehr reiten mochte, denn er wollte (und konnte!) nicht richtig vorwärts gehen, wenn er gleichzeitig den Kopf senken sollte.

Das Umdenken

Recht schnell habe ich eingesehen, dass mir diese Art der Reiterei so nicht gefällt. Ständig mit meinem Pferd „kämpfen“ oder es zu etwas zwingen zu müssen, war so gar nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Ich ertrug es nicht mehr, dass mein Pferd schon beim Putzen vor Schmerzen in die Knie ging, den Kopf in die Tränke hielt, wenn es die Trense sah und jede Gelegenheit ergriff, sich aus dem Staub zu machen, wenn man es satteln wollte. Ich hörte sogar auf, es zu reiten, weil ich dachte, dass das Reiten ja eigentlich doch nur reine Tierquälerei sei.
In meiner Verzweiflung bekam ich ein Buch in die Hände (vielen Dank, liebe Ute!), das mir zeigte, dass es auch möglich ist, dass beide – sowie Reiter als auch Pferd – Spaß an der gemeinsamen Arbeit haben können: Claus Penquitt’s „Freizeitreiter Akademie“ – mein Einstieg in den Western Style – der in Wahrheit so rein gar nichts mit dem zu tun hat, was man in den meisten Westernfilmen sieht.

Mein Westerntrainer

Also ging ich auf die Suche nach einem guten Westernstall. Ich fand ihn in der Nähe von Ludwigshöhe. Besitzer und Ausbilder war und ist Klaus Hasenfuß, ein sehr sympathischer und ruhiger Mensch mit Verstand, der auch auf Turnieren erfolgreich war: Hasenfuß Quarter Horses
Dort nahm ich dann über mehrere Wochen auf ungewohnt entspannten und gut ausgebildeten Pferden Unterricht. Statt dem gewohnten „Reiß ihm ins Maul, du bist doch stärker als das Pferd!“ und „Stech ihn ab!“ oder „Schlag ihn tot!“ hieß es plötzlich: „Nicht so hart im Maul, lass die Zügel länger“, „Das hat er gut gemacht, jetzt lass ihn mal wieder in Ruhe!“ oder „Das liegt nicht am Pferd, das liegt an dir.“

Neue Wege

Die argwöhnischen Blicke der anderen Reiter in meinem Stall und Kommentare wie „Westernreiten ist nix für dein Pferd, du machst es kaputt!“, „Die Westernpferde latschen doch alle nur auf der Vorhand!“, „Westernreiten ist Tierquälerei, die haben da alle so scharfe Gebisse und Sporen!“ ignorierend, packte ich mein Pferd in den Hänger und brachte es zu Herrn Hasenfuß in die „Umschulung“ vom Englisch- zum Westernstyle.

Mein Ex-Galopprennpferd mit Westernsattel

Als Klaus dann Wintertor probeweise ritt, merkte er gleich, dass etwas mit ihm nicht stimmte und er riet mir, ihn sicherheitshalber einmal gründlich durchchecken zu lassen. Er bot mir zudem an, das Pferd zunächst nur einige Tage zur Probe zu trainieren um sicherzustellen, dass es kein Problem mit den Beinen oder dem Rücken hatte.
Ich vermutete, dass seine Verspannungen die Ursache für seine Probleme waren, ließ es aber natürlich noch einmal untersuchen. Es hatte bereits bei der Ankaufsuntersuchung keine guten Ergebnisse erzielt, ich hatte mich aber dennoch für den Kauf entschieden, da die Röntgenaufnahmen der Gelenke einwandfrei waren.
Als der Tierarzt eintraf, musste ich mir dann von diesem eine Standpauke anhören, weil ich trotz der schlechten Beugeproben von damals „den ja doch gekauft“ hätte. Dann griff er meinem Pferd noch ordentlich in den Rücken, worauf es vor Schmerzen zusammenzuckte (das tat es ja bereits beim Putzen) und meinte, die Wirbelsäule wäre wohl auch kaputt, die sollte man auch mal röntgen.
Aber auch diesmal gab es, trotz gründlicher Aufnahmen keinen Befund. Die Knochen zeigten keinerlei krankhafte Veränderung. Was ich aber ganz sicher wusste, war, dass ich den Tierarzt wechseln würde.

Klaus auf Wintertor

Nach nur ca zwei Wochen Beritt durch Klaus, dann die Erleichterung: Mein Pferd machte Fortschritte. Es begann gleichmäßiger zu gehen und hörte auf, ständig den Rücken wegzudrücken. Auch der längere Westernsattel tat seinem Rücken gut, da dieser das Gewicht des Reiters besser verteilte. Der Galopp wurde besser und kontrollierter. Als ich ihn nach 6 Wochen endlich wieder reiten durfte, war er ein anderes Pferd. Er ließ sich am lockeren Zügel, ohne davon zu stürmen, über eine Wiese galoppieren und sich dabei sogar von anderen Pferden überholen. Wenige Wochen zuvor noch undenkbar! Und man merkte, dass er Klaus offenbar gerne mochte – ein weiterer Beweis dafür, wie gut dieser mit seinen Pferden umgeht (danke Klaus!).

Bei der Westernzäumung gibt es grundsätzlich keine so genannten Sperrriemen, die in der englischen Reitweise gang und gäbe sind. Sie dienen dazu, dem Pferd das Maul zuzuschnüren, damit der Reiter munter am Gebiss reißen kann, ohne dem Pferd die Trensenringe durch das Maul zu ziehen und ohne dass es sich durch Öffnen des Mauls der Reiterhand entziehen könnte. Eigentlich eine Unart aus Kriegszeiten mit ungenügend ausgebildeten Pferden und schlechten Reitern oder dem Pferderennsport. Verfechter der englischen Reitweise argumentieren einmal wieder damit, dass dies notwendig und „pferdegerecht“ sei, da ein Pferd sonst den „bequemeren“ Weg gehen würde und den Kopf nicht so hält, wie es soll – was leider für die meisten Reiter fälschlicherweise noch immer oberste Priorität hat.
Es ist schier unglaublich, wieviele unterschiedliche Verschnallungen und andere Folterwerkzeuge sich Menschen einfallen lassen, um einem Pferd in möglichst kurzer Zeit den eigenen Willen auf- und es in eine bestimmte Haltung zu zwingen. Mir blutet das Herz, wenn ich mitbekomme, wie begeistert die Massen von den unnatürlichen Gängen eines Pferdes wie „Totilas“ sind und sich absolut keine Gedanken darüber machen, was einem solchen Tier hierfür angetan wurde und wird.
Die meisten Reiter kompensieren ihren Mangel an Sensibilität und Geduld mit Kraft und Gewalt. Bei einigen Individuen, die ich kennenlernt habe, habe ich sogar den Verdacht, sie müssen ihren Frust an dem Tier auslassen oder ihre Minderwertigkeitskomplexe kompensieren. Leider gibt es diese Sorte Mensch in allen Sparten der Reiterei, auch in der von mir präferierten Westernreitweise.
Schlimme Dinge habe ich auch in Spanien gesehen, wo das Pferd oft nur als Prestigeobjekt dient. Ich sah auf Ferias beispielsweise mitten in der Nacht betrunkene Reiter, deren Pferde blutige Nasenrücken von der Serreta (=Säge) hatten. Viele Spanier ziehen ihren Pferden tatsächlich zum Reiten, sowie zum Longieren Nasenriemen aus Eisen und sägeblattartigen Zähnen auf die empfindlichen Nasen! Wenn man so ein Tier dann gleichzeitig mit scharfen Sporen traktiert, wird es anfangen mit der erwünschten Kopfhaltung zu tänzeln. Ich habe dort kaum ein Pferd ohne Narben auf der Nase gesehen…

Wintertor 2010

Ein neues Zuhause

Nachdem ich meinen Süßen noch einige Wochen in der Ausbildung belassen und auf ihm weiterhin Unterricht bekommen hatte, unternahm ich einen 30km Tagesritt mit netten Reiterkollegen zu einem schönen Stall mit Auslaufboxen in der Nähe von Worms, der nun einige Jahre sein neues Zuhause sein sollte. Es war eine wunderbare Zeit dort. Die Reiter machten sich viele Gedanken um das Wohl ihrer Tiere und probierten deshalb ständig etwas Neues aus. Wir nahmen an Longier– und anderen Bodenarbeitskursen teil und besuchten Seminare. Es gab Reiterstammtische, Koppelfeste, Sternritte und andere Veranstaltungen. Mein Pferd lernte in dieser Zeit über Wippen zu gehen oder durch StangenparkoursFlatterbänder oder Pfützen und wie angenehm es sein kann, mit nach unten gestrecktem Hals vorwärts zu gehen und verlor nach und nach auch seine letzten Verspannungen.

Doch wie so oft im Leben, hat die schönste Zeit einmal ein Ende. Ich zog irgendwann mit meinem Pferd dort aus, der Hof bekam neue Besitzer, die Reiter verloren sich aus den Augen…

Die Gegenwart

Wini

Spaziergang im Wald mit meinem Süßen 2012

Mein „Dicker“ steht heute das ganze Jahr über auf einer großen Koppel in einem Offenstall. Ich besuche ihn möglichst zu Zeiten, an denen ich in Ruhe mit ihm arbeiten kann und ohne mir mitansehen zu müssen, wie so manche Herrenreiter Dinge mit ihren Pferden anstellen, von denen sie wahrscheinlich selbst nicht wissen, warum sie sie tun. Die nicht durch Gymnastizierung sondern durch bloßes Vorwärtstreiben und Dagegenhalten erreichen wollen, dass ihre Pferde „durchlässig“ werden oder mit ihnen über Hindernisse springen, ohne an deren Vorderbeine zu denken.
Wenn wir uns schon auf den Rücken dieser Tiere setzen, und sie dadurch unnatürlich belasten, sollten wir in erster Linie ihrer Gesunderhaltung Sorge tragen aber sie nicht  zusätzlich belasten und somit ihr Leben verkürzen.  Es ist für mich deshalb auch nicht nachvollziehbar, dass Dressur- und Springturniere, Galopp- oder Trabrennen überhaupt mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sind.

2012 ist Wintertor 25 Jahre alt geworden. Er wird noch regelmäßig bewegt und, so oft ich kann, geritten. Er ist noch immer sensibel und etwas schreckhaft aber auch voller Vertrauen und geht mit mir durch dick und dünn. Er freut sich ganz offensichtlich auf die Arbeit unter dem Sattel oder Bodenarbeit an der Hand.
Er wurde nie ein richtiges „Westernpferd“ dazu rennt er einfach nach wie vor viel zu gerne und erlaubt man es ihm, ist er kaum zu bremsen. Vielleicht auch eine Folge meiner Inkonsequenz. Oft ärgert es mich, dass mein Pferd unter meiner Unwissenheit und meinen Fehlern zu leiden hatte und sicherlich zuweilen noch immer tut. Doch niemand ist perfekt und der Umgang mit einem Pferd ist ein Lernprozess, der niemals aufhört. Wer anders denkt, sollte die Finger von diesen wunderbaren Tieren lassen.

Mein Wini und ich 2011

Wer hätte gedacht, dass ein Pferd, mit dieser Vergangenheit und einer so schlechten Ankaufsuntersuchung 20 Jahre später noch immer munter und lahmfrei über die Wiesen galoppieren kann? Ich hoffe, wir werden noch viele schöne Jahre miteinander verbringen können.

Vollblüter sind weitaus robuster als sie aussehen und der Westernstyle ist, richtig betrieben, eine sehr gesunde Art ein Pferd zu reiten, auch wenn das die meisten Herrenreiter partout nicht wahrhaben wollen. Zum Glück aber werden wir „Freizeitreiter im Westernstyle“ immer mehr (auch wenn ich nicht ganz stilecht, wegen des schmalen Rückens meines Galoppers, mittlerweile einen Trekkingsattel besitze) und ich bin mir sicher, dass dieser Trend weiter anhält.
Das Mittelalter haben wir ja auch erfolgreich hinter uns gelassen!

„A Dog looks up to a man, a cat looks down on a man, but a patient horse looks a man in the eye and sees him as an equal.“